Wenn Carsten Giegler, noch wenige Wochen Musik- und Religionslehrer an der Kronberger Altkönigschule, ruft, dann kommen sie alle.

So überrascht es nicht, dass kurz vor Heilig Abend die aus den 1960er Jahren stammende Langhaus-Kirche St. Crutzen in Oberursel-Weißkirchen bis in die letzte Reihe voll besetzt ist mit Familienmitgliedern, Freunden, Wegbegleitern sowie ehemaligen und aktuellen Schülern und Kollegen. Freilich haben die Gieglers diesen Kirchenraum mit Bedacht ausgewählt. Abgesehen von der familiären Verbundenheit bietet das Gotteshaus mit seinen 16 Metern Höhe und seiner räumlichen Leere eine unvergleichliche Akustik. Zudem dürfte dessen Schlichtheit dem Protestanten Giegler weitaus mehr entsprechen als der Manierismus barocker Kirchen.

Auch die Auswahl des ersten Stücks ist kein Zufall: André Campras „Rigaudon“, ein Hoftanz aus dessen Oper „Idoménée“, in der zehn Chöre direkt an der Handlung teilnehmen – Versprechen und Aussicht zugleich, was die Zuhörer erwarten würde. Campra, einen der bedeutendsten französischen Komponisten, und Giegler verbindet zudem ihre Neigung zu einer gewissen franco-italienischen Leichtigkeit. Und so steht er im eleganten schwarzen Dreiteiler vor dem festlich geschmückten Altarraum und dirigiert souverän die Darbietung seiner Schönberg Brass Band, eines protestantisch-sakral geprägten Blechbläserensembles, das er seit über 20 Jahren leitet.

Geradezu nonchalent tritt sodann Gieglers Schwiegersohn ans Mikrofon und begrüßt die Anwesenden im Namen des Gastgebers, der hiermit 35 Jahre Dienst im Namen der Musik beende. Auch wenn sein Schwiegervater Opa von vier Enkeln sei oder noch häufiger mondial nach bisher unentdeckten Wohnmobilstellplätzen Ausschau halten wolle, glaube er nicht, dass er das alles hinter sich lassen könne. Viel zu groß sei nämlich seine Begeisterung für die Musik, die er voller Elan an andere weiterzugeben verstehe.

Tatsächlich hat Giegler nach seinem 1988 an der Frankfurter Wöhlerschule angetretenen Referendariat zunächst fünf Jahre an der Immanuel-Kant-Schule in Rüsselsheim unterrichtet, bevor er 1995 an die Altkönigschule kam und blieb. „Mit meinem Schwiegervater hat die AKS nicht nur einen Musiklehrer bekommen, sondern auch einen charaktervollen Entertainer sowie Stand-Up-Philosophen!“, streut sein Schwiegersohn jovial ein.

Von Beginn an leitete Giegler etliche Orchester-AGs und betrieb ab 2003 eine Herzensangelegenheit: die Gründung des Jazzchors. Dieser bestand anfangs aus nur 15 Mitgliedern, bevor er in seiner Hochphase um die Jahr 2010 – 2013 mehr als 55 umfasste. Mit beiden Ensembles wurden jährlich Probentage durchgeführt, die in Konzerte auch außerhalb der Schule mündeten (Evreux in der Normandie, Aberystwyth, Wiesbaden, Bad Homburg).

Da noch etliche Jahre, nachdem die Sängerinnen und Sänger die AKS nach dem Abitur verlassen hatten, zu vielen von ihnen Kontakt bestand, müssen wohl in Giegler Idee und Wunsch erwachsen sein, zum Abschluss seiner Dienstzeit Chorklang und Blechbläser-Sound ein letztes Mal konzertant miteinander zu verbinden.

Bereits vor einem Jahr sei er mit dieser Anregung auf die Ehemaligen zugegangen und habe große Resonanz erfahren, weiß sein Schwiegersohn zu erzählen. Und natürlich spiele dabei auch eine Rolle, die ihm ans Herz gewachsenen Pennäler – darunter auch etliche seines ersten Musik-Leistungskurses (Abi 2000) – wiederzusehen. Zu vier Proben habe man sich dann getroffen, die letzte solle wohl bis in die Morgenstunden gedauert haben …

Ebendiese Alumni und Alumnae, 50 an der Zahl, davon 15 männliche Stimmen, erheben sich und erweisen, auf der Altarinsel im Halbkreis nach Stimmlagen sortiert, ihrem ehemaligen Chorleiter singend die Ehre, darunter mit Jazzchor-Classics wie „Fly me to the moon“ oder „Dancing Queen“ mit entsprechenden Tanzgesten und einem bewegenden Abschiedswinken. Unter tosendem Applaus setzt sich der Chor und Altmeister Joachim Bank ans Piano.

Bank, legendärer Englischlehrer an der AKS, unterstützte die Chorarbeit von Anbeginn bis zur Auflösung des Ensembles im Jahre 2020, also weit über seine eigene Pensionierung hinaus, nicht nur aktiv als Sänger, sondern übernahm am Piano auch die Satzproben mit den Jungs und viele Aufgaben auf den Chorfahrten. An diesem Abend dann ein letztes Mal beste Jazz-Impro im Stil der 1940er Jahre. Doch bevor Banks Finger zu „Autumn Leaves“, das Joseph Kosma auf Jacques Preverts „Les Feuilles Mortes“ komponierte, über die Tasten fliegen, bietet er in seiner bekannt spitzbübischen Art zuerst eine Version von Eleanor Rigby“ der „Beatles“ dar.

Mit im Publikum auch Schulleiter Martin Peppler, der Giegler seit rund 11 Jahren kennt und dem es ein Anliegen ist, ihm für seine Dienste zu danken. Aus Schulsicht sei Giegler ein Pädagoge, der es verstanden habe, den Funken in vielen seiner Schüler zu entfachen, die damals Kinder gewesen seien und nun als Erwachsene hier stünden und in denen eine Flamme lodere, die vielleicht ein Leben verändert habe. „Eigentlich schade“, fügt er lachend hinzu, „jetzt wären die Stimmen erst richtig ausgebildet.“

Giegler hat zweifelsohne in der Musikabteilung der Altkönigschule tiefe Spuren hinterlassen. War er doch 15 Jahre lang Fachsprecher und damit federführend verantwortlich für den Schwerpunkt Musik, der nun bereits zum dritten Mal durch das hessische Kultusministerium zertifiziert wurde. Außerdem initiierte er 2008 die Einführung der Bläserklassen (Jahrgänge 5/6), die bis heute jährlich fortgesetzt werden.

Peppler lobt Gieglers hohe Unterrichtsqualität und dessen Engagement. Noch vor drei Jahren sei er auf ihn zugekommen, da der Schule Streicherensembles fehlten. Gesagt, getan, Giegler versprach, sich darum zu kümmern, und zwei Jahre später wurde die Einführung einer Streichergruppe in den Kronberger Grundschulen maßgeblich durch ihn herbeigeführt. „Ich wünsche Dir, lieber Carsten, alles Gute, viel Musik und noch viele schöne Stunden“, schließt Peppler und überreicht seinem Kollegen einen Blumenstrauß.

Der Musikpädagoge, ob dieser Geste sichtlich gerührt, hebt an, um seinerseits ein paar Worte zu sagen. Der Beruf habe ihm viel Freude bereitet – bis zum Schluss. Er habe viele sympathische Schülerinnen und Schüler kennenlernen dürfen, mit denen er nicht nur auf den Proben, sondern auch auf den Chorfahrten nach z. B. Wales oder London viel gemeinsam erlebt habe. „Es war für mich eine große Ehre und Freude, mit Euch den heutigen Abend gestalten zu dürfen!“, resümiert Giegler. Er wolle auch nicht vergessen, seiner Brass Band insbesondere für deren Gelassenheit zu danken, mit seinem nicht auszurottenden Perfektionismus umzugehen. Ein weiterer Dank gelte schließlich allen Anwesenden für deren zahlreiches Erscheinen.

Ein letztes Mal dann gibt der Jazzchor mit Händels „Tochter Zion“ und dem „Halleluja“ aus dessen „Messias“ sein Können zum Besten, bevor die Veranstaltung geradezu sakral mit dem protestantischen Choral „Nun danket alle Gott“ und Bernhard Zosel an der Orgel ihr Ende nimmt. Und weil nur ein Ende mit vielen Köstlichkeiten und einem edlen Tropfen auch ein gutes Ende ist, versammelten sich Musici und Freunde, wie nach einem bestandenen Asterix-Abenteuer, um die Tafel, um mit Carsten Giegler noch bis in die Nacht sein Farewell-Konzert zu feiern.

 alle Photos von: Tim Seibert east59.de

Ex-Jazzchor und Schönberg Brass-Band unter der Leitung von Carsten Giegler versammelt zur feierlichen Schlussdarbietung

 

Musikpädagoge und Chorleiter Carsten Giegler in seinem Element

Schulleiter Martin Peppler dankt Musiklehrer Giegler für die fast 30-jährige Tätigkeit an der Altkönigschule in Kronberg

 

Eine unvergessliche Veranstaltung für alle Beteiligten: Ex-Jazzchor, Schönberg Brass-Band, Schulleiter Martin Peppler und scheidender Musikpädagoge Carsten Giegler