Eine von klein auf mutige, wissbegierige und starke Persönlichkeit besucht am 29. April 2025 die Altkönigschule. Henriette Kretz, eine Holocaust-Überlebende, erzählt den Oberstufenschülern ihre traurige und dramatische Geschichte während des Zweiten Weltkriegs. Schon als Kind muss sie aus ihrer Heimatstadt Stanislawow, damals noch Polen, fliehen. Ab diesem Zeitpunkt endet ihre Kindheit, und sie muss sich verstecken und ums Überleben kämpfen.

Ein Kind wie jedes andere auch
Frau Kretz wächst behütet auf. Sie selbst beschreibt ihre Kindheit als die glücklichste Zeit ihres Lebens. Ihr Vater ist ein erfolgreicher Arzt, ihre Mutter eine Anwältin. Sie selbst begleitet ihr christliches Kindermädchen gerne in die Kirche. Ihre kindliche Neugier und Unwissenheit lassen sie daran zweifeln, ob der Priester tatsächlich Beine unter seinem Gewand hat, weshalb sie sich traut, einen Blick unter dessen Rock zu werfen. Sie unterstreicht, dass sie ein ganz normales Kind gewesen sei, wie jedes andere auch.

Erster Kontakt mit dem Weltkrieg
Als am 1. September 1939 Bomben in ihrer Heimatstadt Stanislawow fallen, wird ihr bewusst, dass Krieg etwas Böses ist. Nach dem Vorfall fliehen sie und ihre Eltern nach Lemberg zu ihren Großeltern. Lemberg gilt als eine sichere Stadt, jedoch nicht für lange Zeit. Denn schon kurz darauf stehen die Nationalsozialisten vor der Tür, und der wahre Terror und das Ende ihrer Kindheit beginnen.

Spiel zwischen Flucht und Versteck
Der Terror nimmt kein Ende. Frau Kretz nimmt die Abgrenzung der Juden wahr: die Kennzeichnung durch das Tragen von Binden, zahlreiche Ermordungen und Deportationen. Auch ihre Familie wird damit konfrontiert, als deutsche Soldaten ihr Zuhause stürmen und Moritz Kretz, Frau Kretz‘ Vater, mitnehmen. Die einzige Lösung für die Familie: fliehen und sich verstecken! Frau Kretz versteckt sich tagelang in einem dunklen Schrank bei einer Ukrainerin, bis auch sie die Soldaten eintreffen hört. Henriette versucht schnell zu handeln, tritt vor die deutschen Soldaten und versucht, sie zu täuschen. Henriette sei Polin, behauptet sie, und hofft, davonzukommen. Doch vergebens – die Soldaten durchschauen die Situation und bringen sie in ein Gefängnis.

Die Zeit im Gefängnis ist für Frau Kretz eine besonders prägende Erfahrung. In einer Zelle eingesperrt mit zahlreichen anderen, unter anderem einem frisch geborenen Baby, das in die Zelle geworfen wird, beginnen Erinnerungen, die kein achtjähriges Kind erleben sollte. Doch mitten drin befindet sich Frau Kretz – ohne Eltern, umgeben von Angst und Kälte. In dieser trostlosen Umgebung zeigt sie eine Stärke, die man kaum von einem Kind erwarten würde. Während andere weinen und aufgeben, bewahrt die junge Henriette Kretz einen erstaunlichen Mut. Das tägliche Mahl will sie nicht annehmen und entgegnet den Wärtern: „Ich sterbe lieber vor Hunger, als erschossen zu werden.“

Dieser Satz steht sinnbildlich für ihren Mut und ihre Entschlossenheit, ihr Schicksal nicht kampflos hinzunehmen. Frau Kretz erinnert sich nicht nur an die Schrecken, sondern auch daran, wie sie sich innerlich dagegen wehrte, ihre Menschlichkeit zu verlieren.

Dann kommt der Tag, der alles verändern soll: Sie hört, wie ihr Name, Henriette Kretz, aufgerufen wird. In dem Moment blendet sie alles aus, und ihr einziger Gedanke ist die Flucht. Sie begibt sich aus der Zelle und verbirgt sich innerhalb einer Gruppe von Männern. Gemeinsam mit ihnen wird Henriette zurück ins Ghetto gebracht, wo ihre Familie bereits auf sie wartet. Sie wird von Umarmungen ihrer Familie überhäuft, und für einen Moment scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein.

 

„Sei meine Mama“
Nachdem Frau Kretz und ihre Eltern einen Ausweg aus dem Ghetto finden, werden sie von einem Ehepaar in einem Kohlekeller versteckt. Den gesamten Winter über leben Frau Kretz und ihre Eltern in Dunkelheit, ohne jegliches Tageslicht. Im Sommer ziehen sie auf den Dachboden um, doch werden sie daraufhin schnell von Nationalsozialisten gefunden. Auf die Frage, ob sie Juden seien, antwortet der Vater mutig: „Ja.“ Die Familie wird abgeführt. Mitten auf dem Weg bleibt der Vater plötzlich stehen, wirft sich auf einen der Nationalsozialisten und ruft Frau Kretz zu: „Lauf!“ Sie rennt, so schnell sie kann. Aus der Ferne hört sie einen Schuss, dann den Schrei ihrer Mutter, dann einen zweiten Schuss.

In diesem Moment verliert Henriette alles. Sie ist ein Kind – und plötzlich Waise. Nach diesem Ereignis weiß Frau Kretz nicht, wie es weitergehen soll, denn sie ist ganz allein. Doch ihr fällt schnell ein, dass ihr Vater eine Freundin hatte, die in einem katholischen Waisenhaus arbeitet. Also macht sie sich, ganz verängstigt und allein, auf den Weg dorthin. „Sei meine Mutter“, sagt Frau Kretz zu der Freundin mit flehender Stimme. Die Frau versteckt Frau Kretz und weitere zum Tode verurteilte Kinder, bis der schreckliche Krieg sein Ende nimmt. Frau Kretz wiederholt mehrmals, dass die Menschen, die ihr Leben opferten und aufs Spiel setzten, um unschuldige Kinder zu schützen, die wahren Helden seien – und nicht diejenigen, die grundlos Kinder ermordeten.

„Wählt niemanden, der euch Geld und Macht verspricht“
Es wird deutlich: Frau Kretz ist nicht nur an unserer Schule, um von ihrer Geschichte zu erzählen, sondern um an uns zu appellieren – besonders an unsere junge Generation. Wir sollen wachsam sein und uns nicht von aussichtslosen Versprechen beeindrucken lassen, denn diese sind nur selten von Gerechtigkeit und Demokratie geprägt. „Diktatur ist einfach, Demokratie ist schwer“, so verdeutlicht Frau Kretz, dass ein Land Zusammenhalt braucht, kritisches Denken und Empathie – auch wenn es aussichtslos wirkt.

Die Lebensgeschichte von Frau Kretz war sehr berührend und lieferte uns Schülern einen Denkanstoß: die Wichtigkeit der Bewahrung von Freiheit und Demokratie.

Worte, die prägen!
Die grausame Zeit des Zweiten Weltkriegs wird uns bereits im Geschichtsunterricht nahegelegt, jedoch ist nichts so belehrend wie die Worte einer Augenzeugin. Für uns Schüler war der Besuch von Frau Kretz nicht nur eine emotionale Reise, denn sie berührte uns nicht nur mit ihrer Geschichte, sondern mit ihrer ganzen Erscheinung und Persönlichkeit, die sie zu einer inspirierenden Person machten. Diese Stunden des Zuhörens waren gefüllt mit Tränen und Lächeln, denn Frau Kretz‘ Stärke und Willenskraft lassen uns Schüler nur bewundern.

Trotz ihrer Vergangenheit hat Frau Kretz ihren Humor nicht verloren. Sie selbst verlangt keinen Applaus, denn sie sei „Henriette Kretz und nicht Lady Gaga“. Mit diesen abschließenden Worten entließ uns Frau Kretz mit einem prägenden Eindruck – und einem Lächeln. Vielen Dank, Frau Kretz!

Von Inesa B., Lilly H. und Zoe M.