Ella, Lilli, Nika, Margret, Natalia, Carla und Luisa sind nicht nur mächtig stolz auf diesen Abend, sondern fieberten auch bereits seit knapp neun Monaten darauf hin: Zusammen mit ihrem einzigen Mitstreiter Evan, der die Moderation dieser Soiree übernahm, eröffneten die acht Oberstufenschüler/-innen der Altkönigschule am letzten Mittwoch im Oktober das erste SDG-Erasmus-Café deutschlandweit und – wohlgemerkt – das erste Café weltweit, das auf Schülerinitiative hin entsteht.
Ein ganz besonderer Dank gelte Kronbergs Bürgermeister Christoph König sowie dem Leiter des Fachbereichs 1 im Rathaus Herrn Jochen Schmitt-Laux, die die Realisation dieses Projekts überhaupt erst ermöglicht hätten, betont Evan. In der gut gefüllten Kronberger Stadthalle begrüßt König dann die Schülerinnen und Schüler, die Vertreter/-innen des Kultusministeriums sowie der Altkönigschule, die vielen anwesenden Kommunalpolitiker, die Herren Schatz, Trenkler und Kasper, „einfach alle“, wie er scherzend schließt und bekundet seine Freude darüber, dass Kronberg wieder einmal eine Vorreiterrolle habe. Tatsächlich hatte man zuvor mit solch einem Andrang gar nicht gerechnet, doch zur Freude der Initiatoren mussten weitere Stuhlreihen ergänzt werden.
Der SPD-Politiker erläutert, es gebe 17 sog. Sustainable Development Goals, also 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung, sowie 107 Unterziele, die von der Generalversammlung der UN vor neun Jahren verabschiedet worden seien und sich an alle Mitgliedstaaten richteten – nicht nur an die sog. „Entwicklungsländer“. Das Akronym „Erasmus“ solle an Erasmus von Rotterdam erinnern. Bereits 1987 habe die EU dieses weltweit größte Förderprogramm von Auslandsaufenthalten an Universitäten über Europa hinaus ins Leben gerufen. Ja, und Café … das würden zwei Schülerinnen gleich selbst erläutern, schließt der Kronberger Rathauschef und wünscht allen einen informativen und inspirierenden Abend.
„Für uns ist diese Eröffnung ein echter Meilenstein!“, betonen die beiden Abiturientinnen Nika und Ella, denn in Portugal und im Kosovo gebe es solche Cafés bereits. „Wir sind damit Teil einer internationalen Initiative auf nationaler Ebene.“ Tatsächlich wissen die Jugendlichen auf europäischer Ebene den 2018 gegründeten TUM Campus Heilbronn hinter sich (eine Kooperation der Technischen Uni München sowie einer Stiftung des LIDL-Gründers Dieter Schwarz). Die SDG stünden natürlich für Klimaschutz, aber eben auch für soziale Gerechtigkeit sowie eine nachhaltige Politik und Wirtschaft weltweit, betonen die beiden und verweisen auf die 17 bunten Würfel auf der Bühne. „Das Café ist für uns symbolisch ein Raum, um Bewusstsein zu schaffen, Ideen und Interessen zu vernetzen und auf lokaler Ebene Antworten zu finden für globale Herausforderungen. Kronberg soll dabei als Vorbild für weitere Städte dienen“, erläutern Nika und Ella.
Das Kronberger Rathaus wird daher jeden Freitagnachmittag seine Pforten öffnen, um als eine Art „ThinkTank“ (Denkfabrik) den gemeinsamen Austausch über neue Projekte bzw. die Weiterentwicklung bereits bestehender zu ermöglichen. Einmal im Monat sollen zudem weltweit erfolgreiche „SDG-Achievers“ (Leistungsträger) Abendvorträge in Kronberg und Umgebung halten.
Seitens der Kronberger Altkönigschule ist Politik-u.-Wirtschaft-Lehrerin Lilly Heil für das Projekt verantwortlich. Sie erläutert, dass der Anstoß dazu von Roland Schatz gegeben worden sei, einem AKS-Alumni, der vor einem Jahr Schülerinnen und Schüler zu einem UN-Hearing ins Kronberger Casals-Forum eingeladen habe. Schatz, Journalist und Chefberater des Untergeneralsekretärs der UN, zudem Gründer von „Bonn Media Tenor“, einem Unternehmen für Medienanalysen, habe es den Jugendlichen auch ermöglicht, beim anschließenden Abendessen im Schlosshotel den Honoratioren ihre Perspektiven aufzuzeigen.
In diesem Geist, erzählt Heil, habe sich dann im Februar 2024 die „SDG-AG“ formiert. Schatz habe daraufhin drei der AG-ler zum SDG-Laboratory beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos eingeladen. Natalia, die mit dabei war, berichtet, dass es den drei AKS-lern durchaus gelungen sei, in dieser von (zumeist älteren weißen) Männern dominierten Sphäre Gehör und Anerkennung für ihre Initiative zu finden. Anfang Juli 2024 sei es dann, dank des Interesses von Bürgermeister König, zu einem großen Treffen mit Kommunalpolitikern, Sozialverbänden, dem Kreisschülerrat, dem BUND sowie den Lions gekommen, bei dem das Rathaus als Raum für das Café auserkoren wurde. „Die AG-Mitglieder haben all das während ihres Schulalltags gestemmt, aber zugleich gemerkt, wie Worte zu Taten wurden. Sie haben sich als selbstwirksam erfahren und gelernt, dass das Engagement den Unterschied macht!“, lobt Heil ihre Pennäler.
Ohne Anzug und Krawatte wie sonst in der Schweiz tritt Roland Schatz im legeren Look ans Mikrofon und betont, nicht als UN-Mitarbeiter, sondern als Vater hier zu sein – vielleicht auch ein bisschen als Schüler, denn im Publikum sitzt sein ehemaliger Musik-Lehrer Karl Christoph Neumann, zweifellos eine der AKS-Lehrer-Legenden. „Diese Jugendlichen haben mich berührt, sie lassen mich hoffen, dass unsere Ziele Wirklichkeit werden!“ – und hierfür bleiben auch nur noch sechs Jahre. Schatz zeichnet den langen Weg bis hin zu den 17 SDGs nach, erinnert insbesondere an die Initiative von Kofi Annan sowie Ban Ki-moon und weist darauf hin, dass gerade in Deutschland diese Ziele noch wenig bekannt seien.
Ein Zwischenruf aus dem Publikum durchbricht die sonst so feierliche Stimmung: Die Ziele seien doch alle verfehlt worden, kritisiert der Zuhörer. Und sein Einwurf verhallt nicht unerwidert. Dr. Martin Kasper, Inhaber und Vorstand der Stiftung „Childaid Network“, die ihr Büro auf dem Accenture-Campus hat und sich um 1000 Bildungsprojekte in Südasien kümmert, gibt zu, dass sich in den vergangenen zehn Jahren noch nicht so viel geändert habe, umso wertvoller seien daher die Anstrengungen der SDG-AG und der AKS im Ganzen, mit der man seit vielen Jahren kooperiere. Auch Raimund Trenkler, Vorsitzender der Kronberg Academy Stiftung, lässt es sich nicht nehmen, den Jugendlichen zu danken: „Unsere Generation war in dieser Hinsicht nicht so klasse!“, gibt er zu, betont aber vor neun Jahren, dass ohne das Casals-Forum als Austragungsort des Hearings man heute hier gar nicht zusammensäße.
Bei der AG-Gründung sollte sich jede(r) Schüler/-in ein SDG suchen und ein eigenes Projekt dazu entwickeln. Ein solches stellen Luisa (13. Klasse) und Carla (12. Klasse) vor; sie nennen es „MeCare“ und wollen damit zu einer Verwirklichung des 3. SDG (Gesundheit und Wohlergehen) beitragen. Mit ihrer regelmäßig stattfindenden einstündigen Veranstaltung, die sich an Oberstufenschüler aller Schulen in der Umgebung richtet, möchten sie auf unterschiedliche Weise vermitteln, wie man als junger Mensch mit Stress und Leistungsdruck besser umgehen kann. „Viel zu oft beißen wir uns nur durch, anstatt Strategien zur Pflege unserer mentalen Gesundheit zu entwickeln“, erklärt Luisa, und Carla betont, wie wichtig Selbstachtsamkeit und Zeit für einen selber seien.
Die Abiturientinnen Natalia und Margret präsentieren eine weitere Initiative mit dem Titel „Kronberg Heat Map“. Sie wollen lokale Unternehmen dafür gewinnen, SDG-gerecht und damit nachhaltiger zu wirtschaften. Nach einem gewissen Zeitraum werde dann ein Nachhaltigkeits-Ranking in Form einer visuellen Übersicht (Karte) erstellt – nach den Kriterien der UNGSII-Stiftung (ebenfalls von Schatz gegründet), die u. a. globale Nachhaltigkeitsindices aufstellt und das Handeln von Unternehmen weltweit danach auswertet.
Auf die Nachfrage der Repräsentantin des Hessischen Kultusministeriums, warum die ökologischen SDG in der Aktivität der AG-Mitglieder so wenig vertreten seien, denn ohne die bräuchte man ja die anderen SDG gar nicht erst zu verwirklichen, setzen die acht Jugendlichen samt ihrer Lehrerin den Schlussakkord des Abends: „Wir haben uns zunächst drei Ziele herausgepickt, wir können ja nicht mit allen anfangen. Außerdem geht es uns darum, zu betonen, was Nachhaltigkeit alles umfasst!“
Die sieben Damen lassen bitten – und zwar zum SDG-Erasmus-Café