Wider dem Vergessen, aber für die Verständigung
Für die seit dem Jahr 1994 an der Altkönigschule bestehende Kreisau-AG ist es jedes Mal eine Ehre, wenn Helmuth Caspar Graf von Moltke, der in den USA lebt, auf einer seiner Europa-Reisen nach Kronberg kommen kann, um sich mit den Jugendlichen auszutauschen und ihnen von seinem Vater Helmuth James Graf von Moltke (1907-1945) zu erzählen. Dieser war nämlich der Kopf der Widerstandsbewegung, die sich nach dem Ort ihrer Zusammenkunft in Niederschlesien in den Jahren 1942/3 „Kreisauer Kreis“ genannt hatte. Im Januar 1945 wurde Moltke von den Nationalsozialisten im Alter von 37 Jahren im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Geladen waren zu der Jubiläumsfeier neben den Geschichts-Leistungskursen der Oberstufe auch die Schüler/innen der aktuellen sowie ehemaligen Kreisau-AG, die die Moderation der Veranstaltung übernahmen. Ebenfalls zugegen waren Vertreter der Kommunen Kronberg und Steinbach sowie des Lions-Clubs Kronberg, der in ökonomisch schwierigen Zeiten unverzichtbarer Partner an der Seite des Kreisau-Projekts ist.
In ihrer Begrüßung hoben Schulleiter Martin Peppler sowie Fachbereichsleiter Martin Fichert hervor, dass die Kreisau-AG ein Herzstück der AKS sei, da mit ihrer Gründung der damalige Schulleiter Heist den Grundstein gelegt habe für eine starke Bindung zwischen Kronberg und Krzyzowa (nahe Breslau) sowie eine lange Tradition der regelmäßig stattfindenden Fahrten nach Südpolen. Kreisau sei damit auch zu einem Symbol der Versöhnung zwischen Polen und Deutschland nach 1989 geworden.
Daniel Keiser, PoWi-Lehrer und Mitverantworlicher für die AG, unterstrich die Wichtigkeit der Fahrt nach Kreisau, denn diese sei der Höhepunkt des Projekts. Diese jährlich stattfindende internationale Jugendbegegnung ist mit insgesamt etwa 50 Schülerinnen und Schülern das nachhaltigste und internationalste Projekt in Krzyzowa. Auch in diesem Jahr nehmen wieder Jugendliche aus Gran Canaria, Prag, Polaniec (nahe Krakau) sowie eben Kronberg daran teil, den Schülern aus Brest in Weißrussland wurde leider die Ausreise verweigert.
Als James Graf von Moltke ermordet wurde, war sein 1937 geborener Sohn Caspar gerade einmal sieben Jahre alt, und doch ist das Erinnern an den Widerstand zu seinem Lebensprojekt geworden. Hierzu zitierte Moltke den Anwesenden aus einem Brief seines Vaters aus dem Gefängnis einen Tag vor dessen Hinrichtung: „Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben.“ Dann bediente er sich der Worte des Jesuitenpaters Alfred Delp, der zusammen mit Moltke im Prozess vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler wegen Hoch-und Landesverrats zum Tod durch den Strang verurteilt worden war: „Es sollen andere einmal besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“
Es sind starke Botschaften, die Caspar Graf von Moltke den Jugendlichen übermittelte, die zum aktiven Aufstehen und Handeln motivieren sollen: „Ihr, die junge Generation, habt die Macht und die Aufgabe, etwas zu verändern.“ Moltke zeigte sich zudem besorgt über die in der Bevölkerung wachsende Bereitschaft, eine Partei wie die AfD zu wählen: „Die Werte, die durch den Kreisauer Kreis errungen wurden, sind heute bedeutsamer denn je. Es ist wichtig, für die Demokratie sowie unsere Rechte und Freiheiten zu kämpfen, denn genau diese darf man nicht als selbstverständlich ansehen.“
Die Schülerinnen Carla, Hélène und Antonia aus der Q1-Phase (12. Klasse), die der Veranstaltung beigewohnt und diese mitskizziert haben, gehören zu denjenigen, die in diesem Jahr nach Kreisau fahren werden. In unseren heutigen Zeiten, in denen aufgrund von Krieg, Hass und Unkenntnis über den anderen, erneut auf der ganzen Welt Menschenleben gefährdet bzw. zerstört werden, sind Begegnung und Verständigung die einzig probaten Möglichkeiten zur Prävention und Konziliation. Nicht umsonst gab Caspar Graf von Moltke den Kreisau-Fahrer/-innen mit auf den Weg, sie möchten Freude an der Fahrt haben, vor allem aber die Möglichkeiten nutzen, um die Jugendlichen aus den anderen Ländern näher kennen zu lernen und mit ihnen in den Austausch zu kommen: „Kommunikation ist ganz wichtig!“
In diesem Sinne eröffneten Schülerinnen aus der Q3-Phase (13. Klasse) eine offene Fragerunde, in der natürlich auch aktuelle Themen wie die bevorstehenden Wahlen in den USA zur Sprache kamen, aber vor allem der Kreisauer Kreis. Auf die Frage, was denn die Bewegung um Graf von Moltke so besonders mache, erläuterte sein Sohn, dass dies die einzige Gemeinschaft innerhalb des Widerstands gewesen sei, die bewusst versucht habe, die gesamte Zivilbevölkerung in den Widerstand mit einzubringen. Deren Mitglieder, die aus verschiedenen sozialen Schichten und politischen Lagern kamen, hatten tatsächlich Grundzüge einer neuen ethischen, sozialen und politischen Grundordnung für die Zeit nach der NS-Herrschaft erarbeitet.
Doch nicht alle Fragen dürften für Graf von Moltke einfach zu beantworten gewesen sein, so z. B. ob ihm bekannt sei, dass die US-Amerikaner unter Führung von Allan Dulles (späterer CIA-Chef), der während des Krieges in der Schweiz Gesandter des US-Geheimdienstes OSS war, zwar in enger Verbindung zu den Akteuren des 20. Juli 1944, einer heterogenen Gruppe militärischer und ziviler Oppositioneller, gestanden, den konservativen Widerstand des Vaters aber nicht unterstützt habe, bestätigte von Moltke. Oder ob er genau so wie seine Eltern gehandelt hätte in solch einer Situation. Zwar ehre er seine Eltern und sehe sie als Vorbilder, erläuterte er, wollte sich jedoch nachvollziehbarer Weise nicht festlegen.
Die gut zweistündige Feierstunde und der Austausch mit Helmuth Caspar Graf von Moltke haben in Carla, Hélène und Antonia sowie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern große Vorfreude auf die anstehende Fahrt nach Niederschlesien geweckt, an der weitere Kinder von ehemaligen Widerstandskämpfern zusammen mit den Jugendlichen teilnehmen werden – eine Begegnungsfahrt wider dem Vergessen, vor allem aber für die Völkerverständigung.